ANF-News: SfE 50 Jahre Kampf um Bildung in Freiheit

von Jiyan Azad (https://anfdeutsch.com/aktuelles/50-jahre-kampf-um-bildung-in-freiheit-37304)

Das 1973 gegründete selbstverwaltete Bildungsprojekt SfE feiert seinen 50. Geburtstag. Seit 50 Jahren machen Schüler:innen nicht nur Abitur und Mittlere Schulabschlüsse an der SfE, sondern leben Bildung jenseits von kapitalistischen Leistungszwängen.

Die Schule für Erwachsenenbildung (SfE) in Berlin feierte am Samstag ihren 50. Geburtstag. Mit ihren 50 Jahren radikaldemokratischer Geschichte gehört die SfE zu einem der kontinuierlichsten radikaldemokratischen Projekten in Deutschland. 50 Jahre SfE sind 50 Jahre Geschichte revolutionärer ebenso wie reformorientierter linker Ansätze. Ihr ist es bis heute gelungen in dem Paradox zwischen der Vorbereitung auf staatliche Prüfungen, das Abitur und den Mittleren Schulabschluss (MSA) und ihrem radikaldemokratischen, strömungsübergreifend linken Ansatz zu navigieren, ohne sich korrumpieren zu lassen oder anzupassen. Die Geschichte der SfE ist damit auch Geschichte revolutionärer Bewegungen in Deutschland. Die Geburtstagsfeier der SfE bot einen tiefen Einblick in 50 Jahre linker Geschichte in Berlin.

Das Forum der SfE, in dem sonst die Vollversammlungen stattfinden, bei denen alle, Lehrer:innen wie Schüler:innen, mit gleichem Stimmrecht jede die Schule betreffende Entscheidung diskutieren und abstimmen, war diesmal brechend gefüllt mit Menschen in nahezu jedem Alter und aus jeder Phase der Geschichte des Bildungsprojekts. Das Podium debattierte gemeinsam mit dem Publikum die unterschiedlichen Phasen der Geschichte der Schule und bot Ansatzpunkte zum tieferen Nachgraben.

Die Geschichte der SfE begann mit einem Paukenschlag

Die Anfänge der SfE gehen ins Jahr 1972 zurück und wurzeln in der 68er Bewegung. Nachdem sich der autoritäre Schulleiter der Gabbe-Lehranstalt mit Berufsverboten gegen linke Lehrer:innen positionierte, begannen die Schüler:innen das Kolleg zu bestreiken. Sie forderten ein Ende des Leistungsdrucks und der politischen Kontrolle. Die Schule setzte damals die Polizei ein gegen die Schüler:innen, die das Gebäude besetzt hatten. Nach einer brutalen Räumung und der Kündigung von vielen Schüler:innen besetzten die Lernenden die Schule erneut und es wurde Alternativunterricht gestartet. Nach einer weiteren Räumung der Schule entschlossen sich die Schüler:innen und Lehrer:innen, selbst eine Schule zu gründen. Dies ist die Wurzel der SfE. 1973 wurde die Schule mit 500 Schüler:innen und siebzig Lehrer:innen gegründet, und als private Ergänzungsschule des Zweiten Bildungsweges anerkannt. Nach mehreren Zwischenstationen kaufte die SfE gemeinsam mit anderen Projekten den Mehringhof – heute ein linkes und linksradikales Kulturzentrum mitten im gentrifizierten Kreuzberg.

Die Geschichte SfE in den 1970er Jahren war zutiefst bewegt. Die Schüler:innenbewegung prägte die SfE stark. Mitarbeiter:innen der Schule erinnerten an diese Zeit. So berichteten die Anwesenden unter anderem dem vor wenigen Monaten verstorbenen Revolutionär und ehemaligen SfE-Schüler Ronny (Ronald) Fritsch. Ronny war 1975 Schüler der SfE. Ein Lehrer erzählte auf der Veranstaltung, Ronny und seine Freunde hätten sich verabschiedet und erklärt, sie hätten nun etwas „wichtigeres“ als die Schule zu tun. Einige Tage später konnte man ihre Gesichter im Fernsehen sehen. Sie hatten den Berliner CDU-Bürgermeister Peter Lorenz entführt und dafür fünf politische Gefangene erfolgreich freigepresst. Die Aktion führte zu Repression gegen die Schule. Der Staatsschutz ermittelte und vernahm immer wieder Schulpersonal. Auch wurden in dieser Zeit wiederholt Polizeispitzel eingeschleust.

Gleichzeitig bot die Schule auch den Rahmen für viele junge Menschen, die Heimen entkommen waren. So besuchten unter anderem mehrere der Protagonist:innen des von Ulrike Meinhof gedrehten Films „Bambule“ die Schule. Während die Bewegung 2. Juni eher Anschlussstellen an die antiautoritäre Linke hatte, war das Lehrpersonal zu dieser Zeit vor allem durch die sogenannten K-Gruppen geprägt. Während einerseits Debatten darum geführt wurden, ob es nicht Klassenverrat für Arbeiter:innen darstelle, ein Abitur anzustreben, wurden andererseits bereits die ersten erfolgreichen Kämpfe der Ökologiebewegung ausgefochten. Wie ein Anwesender berichtete, beteiligte sich die SfE 1976/77 intensiv an der Besetzung des Spandauer Forst und verhinderte damit erfolgreich die Errichtung eines Kohlekraftwerks (Ein historisches Urteil: Wald ist auch was wert – Umweltzone Berlin).

Über 800 Schüler:innen in den 80er Jahren

In den 80er Jahren erlebte die SfE ihre Hochzeit. 1981 betrug die Schüler:innenzahl 800 Personen. Damit wurde die SfE zur größten demokratischen Schule der Welt. Die 80er Jahre stellten einen Umbruch dar. Die feministische Bewegung, die Hausbesetzer:innenbewegung und die Punk-Bewegung führten zu einem kulturellen Umbruch in der SfE. Frauenklassen wurden eingeführt. Der Slogan war „Schule ohne System“. Die Position von Lehrer:innen wurde radikal in Frage gestellt. So wurden Projektklassen eingeführt, in denen Schüler:innen und Lehrer:innen gemeinsam lernten. Gleichzeitig befand sich die SfE immer in einer finanziellen Krise. Die Angestellten mussten mit geringen Löhnen auskommen und engagierten sich aus Überzeugung oft rund um die Uhr. Gleichzeitig wurde der Unterricht immer wieder für Demonstrationen und Aktionen unterbrochen. Viele Schüler:innen und Lehrkräfte beteiligten sich intensiv an den Häuserkämpfen dieser Zeit. Die Schule stellte einen Fokus politischer Arbeit und eines Lebens im Widerspruch dar. Ein Zeitzeuge beschreibt die Haltung an der Schule, die auch heute noch zutrifft, so: „Es zeugt nicht von einem gesunden Geist in einer kranken Gesellschaft gut angepasst zu sein.“

Der Umbruch der 90er Jahre

Mit dem 9. November 1989 veränderte sich die Situation grundsätzlich. Insbesondere viele Menschen aus der annektierten DDR interessierten sich für das anarchistische Konzept der SfE. Die Veränderung der 90er führte zu intensiven Debatten um das Konzept der Schule. Trotz der Schülerzahlen war die Schule fast pleite und es stellte sich die Frage nach Sponsoring und der Umwandlung in eine echte Privatschule, um auch die Angestellten angemessen bezahlen zu können. Diese Frage führte zur Spaltung. Während viele Lehrkräfte die Schule daraufhin verließen, behielt die SfE ihren autonomen Charakter, denn insbesondere die Schüler:innen und Teile der Lehrer:innenschaft verteidigten das Modell vehement. So blieb die SfE auch nach dem „Ende der Geschichte“ ein Ort alternativen Lernens und oft auch der revolutionären Bildung. Während des 2. Jugoslawienkriegs bot die SfE der antimilitaristischen Bewegung ihre Räumlichkeiten und Schüler:innen besetzten 1999 Tag für Tag die Kreuzung am Mehringdamm für fünf Minuten, um gegen den Krieg zu protestieren.

Die SfE im 21. Jahrhundert

Mit dem Beginn des 21. Jahrhunderts begann eine neue Protestbewegung aufzukeimen. Die Proteste gegen die Gipfel von Genua bis Göteborg waren in der SfE heiß diskutiert und immer präsent. Der 11. September 2001 brachte einen tiefen Einschnitt mit sich und die Debatte um den folgenden Irakkrieg und den Angriff auf Afghanistan schlug sich in scharfen Diskussionen in der SfE nieder. Gleichzeitig fanden an der SfE heftige Debatten um Sexismus und patriarchale Strukturen statt. Ein Vertrauensausschuss wurde als Moderationsgremium gebildet. Insbesondere die Debatte um den Nahostkonflikt zu Beginn des 21. Jahrhunderts wurde intensiv an der SfE ausgetragen, was zum Teil zu heftigen Streits und emotional aufgeladenen Diskussionen führte. Politische Sondervollversammlungen, in denen die Schule diskutierte, prägten den Alltag der Schule. Eine ehemalige Schülerin bemerkte dazu: „Es spricht jedoch für die Qualität der Schule, dass die Schüler:innen nach soviel Diskussion und Demonstration und damals eigentlich wenig Unterricht das Abitur schafften.“

Zu Beginn der 2000er Jahre veränderte sich die Schule aufgrund einer Neuerung im Schulmodell. Nun konnten auch Schüler:innen, die direkt von Gymnasien oder anderen Schulen kamen, an der SfE anfangen. Diese Schüler:innen sind in der Regel jünger als die der Kollegklassen und stärker vom Schulsystem geprägt. Trotz dieses latenten Kulturkonfliktes entstanden auch immer wieder Synergien. Eine ehemalige Schülerin des gymnasialen Zweigs sagt zu dieser Zeit an der SfE: „Mit der Schule den geilsten Ort gefunden, um mein Dagegensein zu kanalisieren.“

Die SfE und Walter Frankenstein

In dieser Zeit wurden neue Verbindungen geknüpft. So besteht eine enge Freundschaft der Schule mit dem Holocaust-Überlebenden Walter Frankenstein. Frankenstein hatte unter dem NS-Regime mehrere Jahre im Untergrund gelebt und wurde am 28. April 1945 in Berlin Kreuzberg von der Roten Armee befreit. Er besuchte die Schule seit den 2000er Jahren bis zur Corona-Pandemie jährlich. Seitdem finden immer wieder Videotreffen statt. Frankenstein ist so trotz seiner 99 Jahre auf eine Art Teil des Lebens der Schule.

Die SfE macht den 2. Platz beim deutschen Schulpreis

In den 2000er Jahren nahm aber auch mit der Verdrängung linker Kultur, dem erhöhten gesellschaftlichen Leistungsdruck und der aus den 90er Jahren herüberschwappenden Perspektivlosigkeit und Individualisierung heraus die Zahl der Schüler:innen ab. Der Staat bot immer mehr Möglichkeiten auch ohne Abitur zu studieren und so wurde ein Abitur für Erwachsene für viele obsolet. Das bedeutete zunehmende Geldsorgen der Schule. So kamen Schüler:innen und Lehrende auf die Idee sich für den deutschen Schulpreis zu bewerben. Es war harte Diskussion, da der Schulpreis von Unternehmen wie Bosch gesponsert wird. Dennoch bewarb sich die SfE für den Schulpreis und machte den zweiten Platz. Ein bedeutender Punkt dabei war, dass die SfE eine Schule ohne Noten und Leistungszwang ist. Bei der Preisverleihung hatten die Schüler:innen eine Protestaktion vorbereitet. Bei der Rede des Bundespräsidenten sollten T-Shirts mit einer Solidaritätsbotschaft für Rojava gezeigt werden. Schüler:innen von damals berichten, die Aktion sei gescheitert, weil der Bundespräsident zu früh gegangen sei. Sowohl das Scheitern als auch die Idee spiegeln den spontaneistischen, rebellischen Charakter der SfE deutlich wieder.

So kommt es nicht von ungefähr, dass ein Film, der über die Schule gedreht wurden „Berlin Rebel High“ heißt. Die Schule ist jedoch kaum filmisch darstellbar, da sie ein lebendes Projekt ist, das sich mit ihren Teilnehmer:innen verändert. Das gilt insbesondere für den politischen Charakter der Schule. Neben der feministischen Bewegung entwickelte sich in den letzten Jahren insbesondere die Qeere und transidentäre Bewegung an der SfE stark und setzte neue Maßstäbe. Für alle, Lehrkräfte wie Schüler:innen, bedeutete dies einen weiteren kollektiven Lern- und Diskussionsprozess, insbesondere um das Verhältnis zwischen Gender und anderen Unterdrückungsverhältnissen. Allerdings zeichnete sich auch mit der Digitalisierung fortschreitende Atomisierung der Gesellschaft auch in der SfE immer stärker ab. So führten Debatten häufig eher zu Trennungen, als zum voneinander lernen.

Neustart für die SfE nach Corona

Doch das Projekt SfE ist offensichtlich auch durch die widrigen gesellschaftlichen Umstände und Corona nicht totzukriegen. Die 50-Jahr-Feier der SfE zeigt, dass das Projekt bereits viel widrigeren Situation widerstanden hat. Der kollektive Geist der SfE zeigt sich in Protestaktionen, der gemeinsamen Teilnahme an Demonstrationen oder der Durchführung von eigenen Protestaktionen, aber auch in der Beteiligung am Unterricht. Während viele Schüler:innen gerade wieder mit Abitur und MSA abschließen, steht diese Woche der Infotag für die neuen Klassen ins Haus. Menschen, die Teil dieser Geschichte des Widerstands, des Kampfes um Bildung in Freiheit und um Kollektivität und Selbstverantwortung werden wollen – und ein Abitur oder einen MSA-Abschluss machen wollen, können sich auf der Website der Schule informieren.